A woman playing a violin in an office meeting room

Produktivität

Sie möchten produktiver sein? Gute Geräusche, schlechte Geräusche

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Schadet ein lauter Arbeitsplatz Ihrer Produktivität? Vielleicht nicht so sehr, wie Sie denken … Ein Bericht von Matt Burgess

 

Nicht alle Geräusche sind gleich. Auf den ersten Blick gleicht das niederländische Büro von Plantronics, einem Hersteller von Bluetooth-Headsets und Bürotechnologie, vielen anderen der modernen Arbeitsplätze von heute: Offene Bereiche geben Platz für Gespräche, Sofas und Barhocker bieten Gelegenheit für informelle Meetings, und durch die vom Boden bis zur Decke reichenden Fenster fällt viel natürliches Licht in die Räume.

Doch wenn man genauer hinschaut, oder besser "hinhört", fällt etwas auf: Das Gebäude wurde so konzipiert, dass der Geräuschpegel minimiert wird. "Es liegt uns in den Genen, dass wir bei Gesprächen mithören wollen. Unser Gehirn versucht ständig, Gesprächsfetzen zusammenzusetzen. Und dessen sind wir uns gar nicht mal immer bewusst", erklärt Robert Manassero, Global Product Marketing Manager bei Plantronics. In Büros, erklärt er, sei es der störendste Geräuschfaktor, dass wir ständig die um uns herum stattfindenden Gespräche mitbekommen – Massassero nutzt hierfür den Begriff der "Sprachverständlichkeit".

Dementsprechend designte Plantronics seine Büros in Hoofddorp so, dass die Ablenkung durch Geräusche auf einem Minimum gehalten wird. Der aus recycelten Fischnetzen hergestellte Teppich absorbiert Geräusche, und besondere "Muster" im Design sorgen unmerkbar dafür, dass die Menschen von den Schreibtischen, an denen andere arbeiten, weggelenkt werden. Durch Wasserinstallationen im Innenbereich entsteht eine beruhigende Geräuschkulisse, und die kristallförmigen Wände lenken den Schall um. Manassero erklärt, dass außerdem ein Lautsprechersystem in den Decken erkennt, wenn laute Gespräche stattfinden, und diese kompensiert, indem es die natürlichen Wasser- und Hintergrundklänge verstärkt.

Die richtige Sorte von Geräuschen

Zunächst mag es unintuitiv erscheinen, störende Geräusche mit noch mehr Geräuschen zu übertönen, doch die Wissenschaft gibt diesem Ansatz recht. Bestimmte Geräusche können die Produktivität und die Qualität der Arbeit verbessern. "Die Fehlerquote von Mitarbeitern kann in einer Umgebung, die eher von Geräuschen als von Ruhe dominiert wird, um zwischen 4 und 41 Prozent ansteigen", erzählt Laurent Galbrun, Assistenzprofessor für Akustik der Heriot-Watt University’s School of Energy, Geoscience, Infrastructure and Society. Wenn man die Menge an vom Menschen verursachten Geräuschen am Arbeitsplatz verringert, kann man die Mitarbeiter dabei unterstützen, mehr zu schaffen.

"Durch störende Geräusche sinkt die Qualität und Geschwindigkeit unserer Leistungen. Das gilt vor allem für mental anspruchsvolle Aufgaben," ergänzt James Szalma von der psychologischen Fakultät der University of Central Florida. Bei manchen einfachen, nicht besonders fordernden Aufgaben, spielt der Geräuschpegel keine Rolle. Galbrun fügt hinzu, dass Aufgaben, die das Kurzzeitgedächtnis fordern, durch bestimmte Geräusche in der Arbeitsumgebung gefördert werden.

"Wichtig ist, was wir mit einem Geräusch verbinden. Natürliche Geräusche werden menschgemachten oder künstlichen Geräuschen vorgezogen", erklärt Galbrun. Eine 2015 von der Acoustical Society of America veröffentlichte Studie besagt, dass natürliche Geräusche wie fließendes Wasser Mitarbeitern mehr zugute kommen könnten als das weiße Rauschen, auf das sich Büros bereits seit Jahrzehnten verlassen(1). Weißes Rauschen entsteht aus einer Kombination verschiedener Frequenzen, die das menschliche Gehör wahrnehmen kann – es ist zwar effektiv für das Ausblenden anderer Geräusche, doch es hat nicht gerade eine beruhigende Wirkung. Hintergrundgeräusche, gleich ob natürliche Umgebungsgeräusche oder weißes Rauschen, können außerdem verhindern, dass Gespräche auch von weiter weg mitgehört werden können. So wird gleichzeitig für mehr Privatsphäre gesorgt.

Schallwellen, die auf das Ohr treffen

Die falsche Sorte von Geräuschen

Eine hohe Geräuschbelastung kann auch andere gesundheitliche Folgen als einen Verlust des Hörvermögens nach sich ziehen. Nach Aussage der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz kann ständiges Telefonklingeln, das ständige Reden von anderen oder das Summen einer Klimaanlage auf der Arbeit Stress verursachen(2). Eine Studie des National Institute for Occupational Safety and Health von 2018 wiederum fand heraus, dass jedes Jahr 22 Millionen Arbeiter in den USA bei ihrer Arbeit lauten Geräuschen ausgesetzt sind, und dass viele dieser Arbeiter unter einem hohen Cholesterin-Spiegel und hohem Blutdruck leiden(3).

Doch das bloße Ausblenden dieser Geräusche in Büros wäre der Produktivität nicht unbedingt zuträglich – und ohnehin kaum machbar. Eine im Jahr 2012 veröffentlichte Studie des Journal of Consumer Research kam zu dem Schluss, dass Arbeiter bei einem moderaten Geräuschpegel (70 Dezibel) kreativer sind als bei einem niedrigen Geräuschpegel (50 Dezibel). Bei einem Geräuschpegel über 85 Dezibel war eine beträchtliche Beeinträchtigung der Produktivität festzustellen. In Großbritannien gelten Lärmschutzbestimmungen, nach denen Arbeitgeber ihren Mitarbeitern Geräuschschutz sowie ruhige Orte zur Verfügung stellen müssen, wenn der durchschnittliche Geräuschpegel bei 85 Dezibel liegt. Es ist in den meisten Büros eher unwahrscheinlich, dass ein Geräuschpegel von durchschnittlich 85 Dezibel erreicht wird: Ein solcher Geräuschpegel würde einem Diesel-Lkw entsprechen, der in 15 Metern Entfernung mit 65 Kilometern Geschwindigkeit vorbeifährt – und zwar den ganzen Tag lang. Das heißt aber nicht, dass Bürolärm nicht störend wäre.

Taktiken für die Geräuschkulisse

Büroflächen lassen sich so optimieren, dass die Geräuschbelastung minimiert wird. "Die Bürogestaltung ist hier dann am effektivsten, wenn man verschiedene Taktiken verfolgt", erklärt Manassero. Er führt aus, dass es drei Haupttechniken gibt: Absorbieren, Blockieren und Überdecken. Und jede dieser Taktiken bietet einen anderen Vorteil. Weiche Materialien können Geräusche absorbieren, doch Bürodesigner nutzen häufig Glas und Holz, weil es besser für die Umwelt ist – aber leider auch schlechter für die Klangkulisse. Geräusche lassen sich mit mehr Büromöbeln "blockieren", und ein Überdecken von Geräuschen erreicht man mit anderen Hintergrundgeräuschen. "Auch Pflanzen im Innenbereich können sich positiv auf die Geräuschkulisse auswirken", sagt Galbrun. Die meisten dieser Dinge lassen sich nicht von einzelnen Mitarbeitern bewerkstelligen. Es sind die Arbeitgeber und Büroleiter, die sich um diese Veränderungen kümmern müssen.

Doch es gibt etwas, was jeder Einzelne tun kann, um seinen Teil zur Lärmvermeidung beizutragen: Es geht um das Tragen von Kopfhörern. "Für Mitarbeiter, die in lauten Großraumbüros arbeiten, sind Noise-Cancelling-Kopfhörer die beste Möglichkeit, sich vor dem Lärm zu schätzen", sagt Szalma. "Das löst das Problem zwar nicht zu 100 Prozent, doch in manchen Büros ist das sicher sehr hilfreich." Man muss auch nicht unbedingt Musik hören – es gibt Websites, Apps und Unternehmen (wie Noisli(4) and SimplyRain(5)), die kostenlos Umgebungsgeräusche bereitstellen. Unter anderem stehen Wind- oder Vogelgeräusche zur Verfügung.

Und für Arbeitgeber, die befürchten, Kopfhörer könnten die Mitarbeiter von ihrer Arbeit ablenken, statt ihr Konzentrationsvermögen zu verbessern, gibt es gute Nachrichten: Eine Studie der University of Windsor aus dem Jahr 2005(6) fand heraus, dass Softwareentwickler in kanadischen Unternehmen glücklicher zu sein schienen und bessere Leistungen erbrachten, wenn sie Musik hörten. Die Studie kam zu dem Schluss: "Wenn Projektleiter das Musikhören am Arbeitsplatz aktiv fördern und die Mitarbeiter für Musik empfänglich sind, hat das Musikhören einen positiven Effekt." Also: Setzen Sie Ihre Kopfhörer auf und drücken Sie auf "Play"!


 

Matt Burgess ist ein preisgekrönter britischer Journalist und ist für das Wired-Magazin im Vereinigten Königreich tätig.

Quellen:

(1) https://graphics8.nytimes.com/packages/pdf/business/LESIUKarticle2005.pdf

(2) https://www.iosh.co.uk/Books-and-resources/Our-OH-toolkit/noise.aspx

(3) https://uk.reuters.com/article/us-health-noise-hypertension-lipids/noisy-workplace-tied-to-high-blood-pressure-and-high-cholesterol-idUKKCN1HC2B9

(4) https://www.noisli.com/

(5) https://rain.simplynoise.com/

(6) http://web4.uwindsor.ca/musicandwork