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Baut die Welt zu viel?

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Eines der Bilder, die den Fortschritt am besten illustrieren, ist der Wald von Kränen, der sich über der Baustelle einer neuen Reihe von Hochhäusern erhebt. Im Gegensatz dazu ist der Leerstand dieser Gebäude ein Sinnbild für Verfall. Das zweite Bild setzt sich immer mehr in Städten auf der ganzen Welt durch: Durch Grundstückserschließung wird der Markt mit einem erhöhten Angebot versorgt, doch die Nachfrage sinkt aufgrund eines Wandels der Arbeitsmodelle. 

Schon lange vor Hurricane Harvey hatte Houston mit einer wahren Epidemie an Leerstand zu kämpfen: Fast ein Fünftel der Büros mit einer Gesamtfläche von über 4,3 Millionen Quadratmetern stand leer – die höchste Zahl in den USA. Die Leerstandsquote in Washington DC ist die höchste seit 25 Jahren, während in Shanghai selbst das größte Gebäude Chinas Schwierigkeiten hat, Mieter zu finden, da die Unternehmen im Rahmen einer allgemeinen Konjunkturabschwächung versuchen, ihre Kosten zu senken.

In ihrer neuesten Global Market Perspective gab die Immobilienberatung JLL an, dass die Vermietung von Büroflächen in der ersten Jahreshälfte zwar stabil blieb, die Leerstandsquoten allerdings zum Jahresende 2017 steigen würden, insbesondere in den USA und Asien.

Einen möglichen Grund nennt der Immobiliendienstleister Cushman & Wakefield, der fragt: „Baut die Welt zu viel?“

„Weltweit findet ein beispielloser Boom für Bürogebäude statt. Von heute bis Ende 2019 werden über 65 Millionen Quadratmeter an neuen Büroflächen entstehen“, gab die Firma an. „Das entspricht der Nachbildung des Bestands an Büroflächen von fünf Städten – Washington DC, Dallas, London, Singapur und Shanghai – in den nächsten drei Jahren.“

In Anbetracht der Tatsache, dass viele Unternehmen darüber nachdenken wie sie ihre Büroräume effizienter strukturieren können, wirkt diese Entwicklung befremdlich. Schon 2013 stellte Forbes fest, dass die Versicherungsgesellschaft Aetna sich von gut 250.000 Quadratmetern an Bürofläche getrennt hatte und damit 78 Millionen US-Dollar im Jahr einsparen konnte, weil 47 Prozent der 35.000 Mitarbeiter flexible Arbeitsräume nutzten.

Der Bauberater Aecom führt an: „Im Schnitt stehen 40 Prozent aller Arbeitsräume zu jedem Zeitpunkt innerhalb der Kernarbeitszeiten leer und dennoch zahlen die Organisationen für diesen leeren Raum.“

Durch kollaborative Arbeitsräume ohne feste Arbeitsplätze „verringert sich die Menge an teurem Raum, der Mitarbeitern zur Verfügung gestellt wird, ohne dass sie sich eingeengt fühlen müssten“, schreibt The Economist.

Bloomberg-Kolumnist Lionel Laurent fügt hinzu, dass zumindest in London die „Expansion des Techniksektors in der Hauptstadt aus der relativ einfachen Aufgabe, einfach nur mehr Hochhäuser zu bauen, ein vom Silicon Valley inspiriertes Wettrüsten um die hipsten und inspirierendsten Hochburgen des Arbeitens gemacht hat (denken Sie beispielsweise an Apples „UFO“ in San Francisco). Gleichzeitig quetschen notleidende Banken ihre Mitarbeiter in neue Räumlichkeiten, um damit mehrere Büros zu konsolidieren. Diese beiden Trends hinterlassen leere Immobilien.“

Das Immobilienberatungsunternehmen Savills meldete in diesem Sommer, dass „die Zunahme von Büroräumen inklusive Service den herkömmlichen Gewerbeimmobilienmarkt revolutioniert.“

Das Resultat all dieser Trends ist, dass die Welt der Gewerbeimmobilien am Rande eines strukturellen Umschwungs steht, bei dem mobile Mitarbeiter einen nicht unbedeutenden Teil der herkömmlichen festen Büroräume überflüssig und ineffizient machen. Da immer mehr Menschen zumindest einen Teil der Woche abseits ihres Arbeitsplatzes tätig werden, müssen Unternehmen aller Größenordnungen entscheiden, ob sie für unbesetzte Büroflächen zahlen oder stattdessen ihre dauerhaften Büroflächen verkleinern und nach flexibleren Lösungen suchen.

In einem kürzlich veröffentlichten Artikel im Harvard Business Review schrieb Diane Mulcahy, Verfasserin von The Gig Economy, dass die unmittelbaren Kosten des Erhalts herkömmlicher Büroarbeitsplätze hoch sind: Ein durchschnittliches US-Unternehmen gibt jährlich mehr als 12.000 US-Dollar pro Mitarbeiter für die nötige Bürofläche aus. „Es ist schwierig genug, einen Fall zu finden, in dem Investitionen in Büroflächen eine Rendite abwerfen. Und es ist noch viel schwieriger, ein Unternehmen zu finden, dem das wirklich überzeugend gelungen ist“, fügte Mulcahy hinzu.

Ein Großteil des Wachstums auf dem Markt entsteht nicht durch herkömmliche Bürovermittler, sondern durch Anbieter von gemeinsam genutzten Arbeitsräumen. Die Gewerbeimmobilien-Website Bisnow schreibt, dass jede „Zunahme der Gebäudenutzung größtenteils der Coworking-Kultur zuzuschreiben ist, welche die Branche gerade im Sturm erobert.“ Anbieter von flexiblen Büroräumlichkeiten machten in den letzten drei Jahren über 7 Prozent der Vermietungstätigkeit in London aus, verglichen mit 1 bis 3 Prozent in einem Großteil der vergangenen zehn Jahre. Auch in Städten wie Paris und Berlin war eine starke Zunahme zu beobachten.

„Experimente und die Nutzung neuer Arten und Formate von Arbeitsflächen sowie gemeinsam genutzte, Community- und kollaborative Arbeitsflächen werden immer stärker genutzt“, schrieb JLL.

Das Resultat laut Cushman & Wakefield: „Von diesem Standpunkt betrachtet baut die Welt vielleicht gar nicht zu viel. Vielleicht bringt die Welt Ihren Bürobestand endlich auf einen aktuellen Stand und gibt Mietern mehr von dem, was sie sich wirklich wünschen.“

Doch da diese Erneuerung mit großen Veränderungen bei der Büronutzung durch die Arbeitnehmer einhergeht, setzt sie ältere, schlechter ausgestattete Büroräumlichkeiten unter Druck. Diese Büros sind schlicht nicht an die neuen Gegebenheiten der Arbeitswelt angepasst – und sie müssen sich dringend anpassen, um weiter überdauern zu können.